Im Vorfeld des Tech Summit von InterSystems UK im vergangenen Jahr untersuchte Technologie-Philosoph Dr. Tom Chatfield den Einfluss von Technologie auf die Gesellschaft. Aufbauend auf einem Vergleich mit der ersten industriellen Revolution ging er vor allem der Frage nach, welche Rolle Unternehmen bei der Gestaltung einer von künstlicher Intelligenz und Big Data geprägten neuen Zeit spielen.
Die erste industrielle Revolution brachte nicht nur Maschinen hervor, die die Welt veränderten, sondern auch einen leidenschaftlichen Diskurs darüber, wie Gesellschaften in dieser neuen Welt aussehen sollten. Jahrzehntelange gesellschaftspolitische Konflikte führten allmählich zur Regulierung von Arbeitsmärkten, der Verankerung eines allgemeinen Bildungssystems, der Entstehung des Gesundheitswesens sowie den Anfängen eines universalen Wahlrechts und somit zur Ausweitung von politischer Mitbestimmung. Angesichts ihrer eigenen Transformation durch die Massenproduktion fragten sich Gesellschaften, wie sichere, stabile und sinnvolle Beschäftigung gestaltet werden könne – und was es für Menschen bedeute, ein lebenswertes Leben inmitten rasanter globaler und demografischer Veränderungen zu führen. Die Welt der 1950er-Jahre wäre für die Menschen der 1850er eine völlig fremde, nicht nur hinsichtlich der Werkzeuge, sondern auch der Arbeitsbedingungen, des Wohlstands und der Ansprüche der Arbeiter.
Wir sollten uns diese Punkte einen Augenblick lang bewusstmachen. Aus der Perspektive des zweiten Maschinenzeitalters übersieht man leicht, dass wir bereits mehrere Jahrhunderte ununterbrochenen technologischen Umbruchs hinter uns haben. Eine Betrachtung dieses Umbruchs wäre unvollständig, würde man sich auf die technologisch bedingten Veränderungen beschränken. Dieser Umbruch ist zugleich von einer Neuordnung gesellschaftlicher Werte und der Ansicht, wie diese umzusetzen sind, geprägt. Dass eine Gesellschaft in Arbeitern lediglich Kosten sieht, die gesenkt werden müssen, ist keine unausweichliche Folge von Maschinen. Stattdessen hat sie diese Sichtweise selbst entwickelt. Wir leben in Zeiten wachsender Unsicherheit gegenüber künstlicher Intelligenz. Mehr Grund zur Sorge – oder zur Zuversicht – sollten uns jedoch die Wertvorstellungen und Absichten derer geben, die künstliche Intelligenz entwickeln. Dies gilt gleichermaßen für maschinelle Intelligenz.
Das Smartphone ist wohl die prägnanteste Erfindung des digitalen Zeitalters, nicht nur, weil es eine Revolution in sich selbst repräsentiert, sondern weil es mit vielen weiteren Revolutionen verbunden ist: das Internet und die allgegenwärtigen Netzwerke, GPS und die Übertragung von Rich Location Data in Echtzeit, leistungsfähige Cloud-Dienste, die personalisierte Inhalte in Sekundenschnelle bieten; und die massenhafte Verbindung von Milliarden Menschen und Billionen von Datenpunkten.
Eine der direkten Konsequenzen ist, dass Hunderte Millionen von Menschen auf der ganzen Welt mittlerweile direkten Zugang zu Diensten und Instrumenten haben, die vorher nur von einer Minderheit genutzt werden konnten. Online-Banking und elektronischer Zahlungsverkehr, Handel und Investitionen sowie verifizierte Personenidentifikationen – all das konnte noch im letzten Jahrzehnt nur von wenigen Menschen betrieben werden. Um nur zwei Beispiele zu nennen: M-Pesa, ein Anbieter von Zahlungsverkehrsdienstleistungen per Smartphone, verarbeitet heute mehr als 600 Millionen Transaktionen pro Monat in Afrika. Alipay, ein chinesischer Anbieter mobilen Zahlungsverkehrs, hat über 270 Millionen aktive Nutzer und über 400 Millionen registrierte Accounts. 99 Prozent der erwachsenen indischen Bürger – mehr als eine Milliarde Menschen – wurden in Indiens neuem digitalem Identifikationssystem registriert. Mittels einer zwölfstelligen persönlichen Identifikationsnummer können indische Bürger jetzt bürokratische Prozesse digital abwickeln, von Steuererklärungen und Wahlen bis hin zu Reisedokumenten und Eheschließungen. Das Potenzial für Inklusion, Effizienz und Emanzipation ist immens – ebenso wie das Potenzial für Überwachung, Kontrolle und Missbrauch.
Wie anhand des indischen Beispiels deutlich wird, sind wir dabei, das Gefüge unserer Gesellschaften maschinenlesbar zu machen: Wir wandeln es in Daten um, deren Masse nur Maschinen bewältigen können, was wiederum die nächste Generation maschinellen Lernens beflügeln wird. Hier sind zwei Dinge besonders wichtig: die Sorgfalt, mit der wir diese Umwandlung vornehmen, und deren Kapazität für Iteration und Verbesserung. Das immer größere Datenvolumen, das von unseren Instrumenten verarbeitet wird, kann Small Data und intuitive Erkenntnisse fördern, die für menschliches Leben relevant sind – aber es kann auch eine abgeschottete Welt schaffen, in der Entscheidungen getroffen werden, die wir nicht kontrollieren können. Hierin liegt der Unterschied zwischen den Instrumenten, die integrierte Patientenakten auf Knopfdruck überall verfügbar machen, und jenen, die einer Person aufgrund eines unüberprüfbaren Algorithmus’ den Versicherungsschutz verweigern.
Anders formuliert sind Organisationen des privaten und öffentlichen Sektors stärker denn je an Entscheidungen darüber beteiligt, welchen Einfluss KI und ähnliche Technologien auf unsere Gesellschaften nehmen werden. Sie tragen unternehmerische Verantwortung dafür, das Potenzial von Technologie für sozialen und moralischen Zugewinn zu nutzen. Dieses Thema erkundete InterSystems als Technologieunternehmen mit anderen Unternehmen auf dem diesjährigen Tech Summit, an dem ich als Redner teilnehmen durfte.
Unser Zeitalter ist beispiellos, im Hinblick sowohl auf seine Ängste als auch auf seine Hoffnungen, die jeden von uns Milliarden Menschen persönlich betreffen. Zugleich bin ich mehr denn je gespannt darauf, welche Art der Zukunft wir schaffen können – und was diese Zukunft für uns bringt.
Über den Autor: Dr. Tom Chatfield ist ein britischer Autor, Broadcaster und Technologie-Philosoph. Seine sechs Bücher, die sich mit digitaler Kultur beschäftigen, sind in mehr als zwei Dutzend Sprachen übersetzt worden. Die Forschung zu seinem nächsten Buch, einer Hinführung zum kritischen Denken im 21. Jahrhundert, hat er während seiner Zeit als Gastpartner am Oxford Internet Institute durchgeführt. Er trat auf dem Tech Summit von InterSystems UK im The Belfry am 18. Oktober 2017 als Redner auf.