Ist Fortschritt der Gegensatz von Stabilität? Diese Frage stellt sich vor allem in der IT; hier gilt für viele die alte Weisheit „never touch a running system“. Wie jedoch soll die dringend benötigte Innovation in der Gesundheits-IT ohne Risiko möglich werden? Bimodale Systeme öffnen hier den Pfad zur sicheren Aufrechterhaltung des Betriebs auf der einen ebenso wie den Weg zur Innovation auf der anderen Seite.
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens kommt voran: Nicht nur in den USA haben immer mehr Krankenhäuser, Kliniken und Arztpraxen in den vergangenen Jahren elektronische Patientenakten (ePAs) eingeführt. Auch wenn es kaum harte Fakten zu den Auswirkungen auf die Patientenversorgung gibt, gilt als sicher: Die ePA erleichtert den Informationsaustausch und hilft, Arbeitsabläufe im klinischen Behandlungsprozess zu verbessern. Jetzt ist es an der Zeit, den nächsten Schritt bei der Digitalisierung zu tun.
Dank ihrer Vorteile bilden somit ePAs die Grundlage für den Betrieb von Gesundheitseinrichtungen. Die Kehrseite ist, dass Organisationen hierdurch maßgebend vom stabilen Betrieb der IT abhängen. Wie aber sichert man die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Performanz und Skalierbarkeit dieser Systeme und treibt zugleich Innovationen voran?
Ziele wie die Zuverlässigkeit im Betrieb gehen meist mit wenig Bedarf und geringer Offenheit im Hinblick auf Veränderungen einher. Seltenere Upgrades, lange Wartelisten für neue Schnittstellen oder die mangelnde Bereitschaft, Experimente mit der Plattform anzustellen – das sind die Konsequenzen, die sich hieraus ergeben. So kommt es zu einem Konflikt in Organisationen, die Innovationsziele verfolgen – etwa das Vorantreiben neuer Pflegemodelle, den Aufbau personalisierter Medizin mit Genomik oder das Entwickeln mobiler Applikationen etwa auf Basis von SMART-on-FHIR-Applikationen. Solche neuen Ansätze zur Verbesserung der Versorgung erfordern eine Verknüpfung mit der ePA ebenso wie die Option umfangreicher Datenanalysen, des maschinellen Lernens und der Einbindung von Patienten in neue Lösungen auf Hightech-Basis. Bei diesen Entwicklungen stecken wir erst in den Anfängen … und gerade deshalb sind Experimente so notwendig. Was aber tun, wenn die Stabilität des IT-Betriebs dem entgegensteht?
Bimodal gegen den Widerspruch
Um den Widerspruch zwischen stabilem Betrieb und Fähigkeit zur Innovation aufzulösen, hat das Marktforschungsunternehmen Gartner den Begriff „bimodal“ geprägt. Über alle Branchen hinweg hat sich dieser Ansatz inzwischen als IT-Strategie etabliert; aber nirgendwo benötigen wir ihn so dringend wie in der Gesundheits-IT. ePAs sind erfolgskritisch für die Leistungserbringung der Zukunft – wir müssen sicherstellen, dass sie nicht zur Hürde bei Weiterentwicklungen werden. Eine bimodale IT erlaubt es, das Bedürfnis nach Zuverlässigkeit und vorsichtigem Wandel mit dem Phänomen der Disruption, mit neuen Versorgungsmodellen und mit der Anwendung bahnbrechender Technologien in Einklang zu bringen. Nur so erreichen wir die nächste Stufe in der Digitalisierung des Gesundheitswesens und kommen der optimalen Versorgung jedes Patienten und der maximalen Leistungsfähigkeit unserer Einrichtungen im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit näher.
Bimodalität in der Praxis
Eine Reihe von Leistungserbringern in den USA und in anderen Ländern verfolgt bereits heute eine bimodale IT-Strategie: Einerseits ist ihr IT-Betrieb inklusive der ePAs auf Zuverlässigkeit, auf klar definierte Prozesse, Verfügbarkeit und Performanz hin optimiert. Andererseits setzen sie eine zusätzliche Plattform ein, die Raum für Innovationen und Experimente schafft. Diese „Innovationsplattform“ hält zum Beispiel aggregierte Patienteninformationen für den FHIR-Zugriff, Analyse-Tools, Erweiterungsmöglichkeiten für neuartige Datenmodelle oder Fähigkeiten für maschinelles Lernen bereit oder sie kann die Grundlage zum Aufsetzen neuer Versorgungsangebote bilden. So schafft sie die Basis für Aufgaben und Risiken der Innovation; ferner ergänzt sie die ePA im regulären Betrieb. So können für das Anpassen von Arbeitsabläufen beide, ePA und Innovationsplattform, genau definierte interoperable Verlinkungen bieten – etwa einen integrierten Viewer, eine Verbindung in den Posteingang des Pflegepersonals, eine Ansicht im Patientenportal oder die Funktion der Benachrichtigung auf dem mobilen Endgerät des Fallmanagers.
Better than best
Was geschieht, wenn Leistungserbringer keine Innovationsplattform einsetzen? Sie riskieren, wieder in die überholte Best-of-Breed-Strategie zu verfallen – mit einem Data Warehouse hier, einem Stack für künstliche Intelligenz dort, einer Forschungsdatenbank, einem FHIR-Gateway oder einer App-Galerie woanders. Zukunftsfähigkeit schaffen jedoch nur die Investition in eine Innovationsplattform und die Bereitschaft, mit ihr zu arbeiten und zu experimentieren: Nur so lassen sich Gesundheitseinrichtungen mit sauberen Daten, Tools und Infrastrukturen versorgen, und nur so lässt sich die Innovation selbst spürbar beschleunigen. Ganz ohne Gefährdung der Systeme im laufenden Betrieb.