Bessere Informationsverfügbarkeit und Kommunikation sowie klare Regeln helfen, das Gesundheitswesen zukunftsfähig zu gestalten.
Das Gefühl von Verantwortlichkeit durchzieht unser gesamtes Leben. Nie werde ich vergessen, wie meine Tochter während eines Zoobesuchs verloren ging. Einen solchen Vorfall hielt ich bei vier erwachsenen Aufsichtspersonen für undenkbar. Doch jeder verließ sich darauf, dass die anderen sich schon kümmern würden. Glücklicherweise ging mein Kind selbstständig zu einem Zoomitarbeiter, der sie schnell wieder zu uns zurückbrachte. Der Schreck über ihr plötzliches Verschwinden und die Gedanken, was alles hätte passieren können, hielten jedoch eine Weile an.
Genauso verhält es sich in unserem komplexen Gesundheitssystem – sei es in Deutschland oder anderswo: Verantwortlich sind die anderen. Eine Schwachstelle liegt in der Vernetzung zwischen den an der Versorgung Beteiligten (Ärzten, Einrichtungen etc.) und im Mangel an Koordination. Die Probleme sind im System selbst begründet. So resultiert ein fehlendes Entlassmanagement beispielsweise in unnötigen Wiedereinweisungen ins Krankenhaus. In anderen Fällen bleiben wichtige Befunde unberücksichtigt oder die Nachsorge findet nicht statt. Die Notwendigkeit von Verbesserungen hat inzwischen auch der deutsche Gesetzgeber erkannt.
Eine US-Studie zeigt: Bei fast 50 Prozent aller Erwachsenen treten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus medizinische Fehler auf. An Folgeschäden leiden 19 bis 23 Prozent. In Deutschland sind die Zahlen nicht bekannt. Man geht von einer relevanten Dunkelziffer an Behandlungsfehlern aus. Laut einer im Mai 2018 veröffentlichten Studie des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) sind 3.337 Patientinnen und Patienten bei Behandlungsfehlern zu Schaden gekommen.
In einer anderen qualitativen
US-Studie wurden Primärversorger und Kliniker zu den Barrieren und Lösungen einer effektiven Versorgung befragt. Ein wichtiges Thema war der Mangel an klarer Zuordnung der Zuständigkeit. Konkret ging es um folgende Fragen:
- Wer ist nach einer Entlassung verantwortlich für ausstehende Untersuchungen? Gibt es auffällige Befunde?
- Wer kümmert sich um die Fortführung einer adäquaten Pflege im häuslichen Umfeld?
- Wer informiert den Hausarzt, dass sein Patient im Krankenhaus liegt? Wie werden relevante Patienteninformationen zur Nachsorge kommuniziert und empfangen?
Hier leisten elektronische Patientenakten (ePAs) Unterstützung. Sie helfen multidisziplinären Versorgungsteams, alle Untersuchungsergebnisse zu überwachen und vorhandene Pflegepläne einzuhalten. Eine lückenlose Dokumentation vor allem an den Übergängen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung verdeutlicht den Nutzen dieser Akten. In den USA besuchen ältere Patienten mit fünf oder mehr chronischen Erkrankungen im Laufe eines Jahres 13 verschiedene Ärzte. [1] Sobald ein Patient sich außerhalb der Reichweite der ePA eines Krankenhauses bewegt, gibt es keine eindeutigen Vorgaben. Auch im deutschen Gesundheitswesen mit seinem Ökosystem aus häuslicher Pflege, Sozialdiensten, Apotheken, Therapeuten, Diagnostikern etc. fehlen klare Zuständigkeiten.
Das Ergebnis ist eine Art „Versorgung ohne geregelte Verantwortungsübernahme“.
Hierfür gibt es keine einfache Lösung. Aber die Schaffung klarer Vorgaben über die Grenzen einer Krankenhausakte hinaus wäre ein vernünftiger erster Schritt. Wir müssen die außerklinische Behandlung in Teams mit eindeutig geregelten Verantwortlichkeiten fortführen. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Patienten und Familien, der effektive Austausch sämtlicher Befunde und Diagnosen sowie gemeinsame Behandlungspläne gelingen mithilfe von intelligenten Kommunikationssystemen – und mit eindeutigen Zuständigkeiten. Nur so erreichen wir künftig eine sichere Patientenversorgung, in der das Patientenwohl im Mittelpunkt steht.
[1] https://www.usatoday.com/story/news/2015/06/05/medicare-costs-seniors-sick-chronic-conditions/27390925/